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Bilge Yörenç: Erklärung zur Bildungs- und Erziehungspartnerschaft von Schule und Eltern

Mittwoch, der 5. Februar 20142014, Bildung und Kultur, Pressemitteilungen, Themen

Interview zur Bedeutung der Erklärung aus Sicht der Migrantenorganisationen Interview mit Bilge Yörenç, stellvertretende Bundesvorsitzende und bildungspolitische Sprecherin der Türkischen Gemeinde in Deutschland e.V. (TGD) Welche Bedeutung hat für Sie als Vertreterin einer Migrantenorganisation die Erklärung zur Bildungs- und Erziehungspartnerschaft von Schule und Eltern, die von der Kultusministerkonferenz beschlossen wurde? Die Empfehlung hebt die Bedeutung der Eltern im Bildungsprozess der Kinder hervor. Wir hoffen sehr, dass die Länder ihr Möglichstes tun, um diese Empfehlung als Grundlage für die Schulentwicklung zu übernehmen, so dass sie vielen Schulen als Orientierungshilfe dienen wird, die eigene Elternkooperation zu überprüfen bzw. neu zu überdenken. Die Empfehlungen sehen die Eltern als gleichwertige Partner in Fragen der Bildung und Erziehung an. Bereits die Begriffsbestimmung „Bildungs- und Erziehungspartnerschaft“ verdeutlicht die neue Haltung gegenüber den Eltern. Die alte Diktion der „Elternarbeit“ hatte eine negative Konnotation, wodurch die Eltern als Personen angesehen wurden, an denen „gearbeitet“ werden müsse. Diese Sichtweise ist längst überholt, Eltern sind für die Schule unentbehrlich, nur gemeinsam können die beiden Partner die Bildungsaufgaben und daraus resultierende Fragen und Probleme lösen. Genau das wird durch die Empfehlungen zum Ausdruck gebracht. Den Eltern wird wiederum signalisiert, dass sie nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten nach den geltenden Schulgesetzbestimmungen haben. So wird an sie appelliert, diese Rechte und Pflichten wahrzunehmen, sich somit an dem Bildungserfolg ihrer Kinder zu beteiligen. Das kann damit anfangen, dass sie dafür sorgen, dass ihre Kinder pünktlich und regelmäßig in die Schule gehen, dass sie an Elternabenden teilnehmen, bei den Schulausflügen die Klasse begleiten, bis hin zur aktiven Mitarbeit in schulischen Gremien. Der Lernerfolg in der Schule wird maßgeblich von dem Engagement seitens der Eltern beeinflusst. Gerade diese Erkenntnis unterstreicht die Bedeutung der Elternkooperation. Für die Schulen, die eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Eltern anstreben, sind in den Empfehlungen praxisbezogene Hinweise enthalten. Wir hoffen, dass die Empfehlungen in den verschiedenen Bundesländern nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch mit den neuen Impulsen umgesetzt werden. Durch die Mitwirkung der Eltern wird die soziale, kulturelle sowie ethnische Vielfalt als Bereicherung wahrgenommen, die durch eine interkulturelle Öffnung der Schule zur Entfaltung kommt. Welches sind für Sie die zentralen Aussagen der Erklärung „Bildungs- und Erziehungspartnerschaft von Schule und Eltern“? Welche Perspektiven eröffnen sich dadurch? Die Eltern fungieren als Partner der Schulen in Fragen der Bildung und Erziehung ihrer Kinder. Das zentrale Ziel ist es dabei, über die Bildungs- und Erziehungspartnerschaften den Bildungserfolg von der Herkunft zu trennen und die Bildungschancen aller, insbesondere bildungsbenachteiligter Kinder und Jugendlicher, zu erhöhen. Die Schulen können bei der Entwicklung von Konzepten zur interkulturellen Elternbeteiligung Unterstützung sowohl von den Ländern als auch von Migrantenorganisationen erhalten. Diese Konzepte sind sprach- und kultursensibel, sie beinhalten sowohl die Beratung als auch die Maßnahmen zur Stärkung der Eltern mit Migrationshintergrund. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die Vielfalt als Reichtum angesehen wird und die gesellschaftliche Realität auch in den Schulen, durch die Eltern, abgebildet wird. Oft sind es sprachliche Barrieren, die die Eltern daran hindern, Kontakte zu den Schulen aufzunehmen. Die Migrantenorganisationen haben das Vertrauen der Eltern und sind aufgrund ihrer mehrsprachigen Kompetenzen prädestiniert, dabei die Mittlerfunktion zu übernehmen. Wenn diese Empfehlungen umgesetzt werden, kann durch diese partnerschaftliche auf Augenhöhe ausgerichtete Zusammenarbeit die interkulturelle Öffnung der Schule, die durch das Respektieren und die Wertschätzung der Herkunftskultur und der Herkunftssprache, gekennzeichnet ist, erreicht werden. Wir wollen, dass viele Eltern ihre Mitwirkungsrechte in der Schule aktiv wahrnehmen. Als Kooperationspartner der Schule unterstützen sie den Lernprozess ihrer Kinder und begleiten sie erfolgreich durch Ausbildung oder Studium. Die neue „Willkommenskultur“ in den Schulen kann die Eltern ermutigen, in Bildungs- und Erziehungsfragen mit der Schule ins Gespräch zu kommen. In den Interkulturellen Bildungspartnerschaften sind Eltern mit ihren sprachlichen und kulturellen Kompetenzen die „Experten“. Es darf nicht vergessen werden, dass die Zusammenarbeit mit Eltern zu den Regelaufgaben der Schule gehört. Die Mitwirkung der Eltern in den Elternvertretungen der schulischen Gremien, wie z.B. Schulkonferenz, Elternbeirat oder Steuerungsgruppe der Schule, ist erwünscht, weil sie z.Zt. noch unterrepräsentiert sind. Hierzu sollte auch eine Zielgröße definiert werden, damit die Schulen selbst überprüfen können, ob die Eltern angemessen vertreten sind. Worin sehen Sie die ersten Schritte der Umsetzung der Erklärung? Die Empfehlung gibt neue Impulse und Orientierungshilfen. Die Partnerschaft kann nur dann gelingen, wenn den Eltern das Gefühl gegeben wird, dass die Schule „wirklich“ mit ihnen kooperieren möchte. Die Schule muss die Eltern als „Partner“ und als Experten und Expertinnen für ihre Kinder ernst nehmen und einen Dialog anstreben. Die eigenen kulturellen und institutionellen Erfahrungen stimmen oft nicht mit den Ansätzen des pädagogischen Handelns in der Schule überein. Sprachbarrieren oder fehlende persönliche Kontakte zu den Lehrkräften erschweren die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Schule. Die Schulen können die Eltern erreichen, wenn sie „echtes“ Interesse an ihren Kindern einerseits und an einer engen Zusammenarbeit andererseits zeigen. Die Eltern werden immer dann angerufen, wenn ihre Kinder Leistungs- und Verhaltensprobleme haben. Sie brauchen auch Anrufe, wenn die Kinder erfolgreich mitarbeiten und wenn sie Fortschritte in bestimmten Bereichen machen. Es ist auch angebracht, dass die Eltern bei schwachen Leistungen beraten werden, wo sie sich Hilfe holen können. Bei den Fördermaßnahmen müssen sie nicht nur über die Organisation informiert werden, sondern auch über die Erfolge und Misserfolge einer Förderung. Schulen mit mehrsprachiger und heterogener Elternschaft benötigen neue, innovative Formen der Elternbeteiligung. Die Eltern sollten nicht nur die kulturellen Feste der Schule organisieren, sondern auch in die Lese- und Lernförderung einbezogen werden. Als Vorbild dazu kann u.a. das Family Literacy (FLY) – Projekt dienen. Es handelt sich um ein Modell, bei dem die Eltern und Lehrer die Förderung des Kindes gemeinsam unterstützen. Hier sind die Eltern gleichberechtigter Partner der Schule, die Verantwortung beim Lernen zu Hause, dem sogenannten heimbasierten Lernen, übernehmen. Ihre Kompetenzen als zwei/mehrsprachige Eltern müssen anerkannt werden. Ihre Beteiligung in der Schule erleben viele Eltern als Chance für den eigenen Kompetenzgewinn, um die eigenen Kinder besser beim Lernen zu unterstützen. Schulen brauchen mehrsprachige Informationsangebote, damit alle Eltern mit den notwendigen Informationen über das Schulsystem und die möglichen Übergänge nach der Regelschulzeit ausgestattet sind. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die Schule ihre heterogene Elternschaft wahrnimmt und unterstützt. Bei der Umsetzung der Kooperation mit Eltern, die zu den Regelaufgaben der Schule gehört, müssen die Schulleitungen aktiv den Aufbau von Bildungs- und Erziehungspartnerschaften vorantreiben. Welche Unterstützung erwarten Sie bei der Umsetzung der Erklärung? Die interkulturelle Elternbeteiligung ist eine schulische Querschnittsaufgabe. Die Elternkooperation muss deshalb stadtteilorientiert vor Ort unter Einbeziehung einer Vielzahl von Einrichtungen verankert sein. Ein zielgruppenbezogenes Konzept der Elternbeteiligung kann mit den Migrantenorganisationen gemeinsam entwickelt werden. Die Migrantenorganisationen übernehmen dabei vielfältige Aufgaben, die sie zum größten Teil ehrenamtlich durchführen. Dazu gehören z.B. regelmäßige Informationsveranstaltungen zu Bildungs- und Erziehungsfragen, die Beratung der Eltern und Schulen bei Problemen, die Durchführung von Fortbildungen für Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher, die Mitwirkung bei der Erstellung von mehrsprachigen Elterninformationsbroschüren oder die Begleitung der Eltern zu den Elternsprechtagen. Für die qualitative Durchführung der Angebote sind mittel- und langfristig finanzielle Unterstützungen der Länder bzw. des Bundes notwendig. Dadurch könnte auch eine kontinuierliche Zusammenarbeit und Vernetzung mit den Schulen möglich sein.