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Die Beziehungen zwischen Türkei und EU aus der Sicht der »Europa-Türken«

Freitag, der 14. Juni 20022002, Pressemitteilungen, Themen, Türkei und EU

Bereits die staatliche Vorgängerin der Republik Türkei, das Osmanische Reich, war eine europäische Macht. Über Jahrhunderte hielt es den gesamten Balkanraum unter seiner Kontrolle und grenzte direkt an die mitteleuropäische Zentralmacht Österreich.

Seit Gründung der Republik Türkei am 29. Oktober 1923 war es das erklärte Ziel ihres Gründers Atatürk, die Türkei auf das zeitgenössische Entwicklungsniveau der westlichen Zivilisation anzuheben.

Wenn man genau hinschaut, kann festgestellt werden, dass die Türkei konsequent an dieser Westorientierung festhält. Trotz politischer und gesellschaftlicher Turbulenzen hat sich die türkische Bevölkerung von diesem Weg der Integration in die westliche Welt und Wertegemeinschaft nicht abbringen lassen. Einige Beispiele machen dies deutlich:

  1. Die Türkei gehört seit rund 52 Jahren zur NATO und ist damit nicht nur militärisch in das westliche Verteidigungssystem integriert,
  2. sie hat sich stets auch als verlässlicher Partner dieses Bündnisses erwiesen, sei es als unmittelbarer Nachbar der ehemaligen Sowjetunion, sei es beim gemeinsamen Vorgehen gegen das Regime von Saddam Hüseyn,
  3. sie ist der einzige Vertreter der islamischen Welt, der konsequent für das westlich–demokratische Wertesystem eintritt,
  4. sie ist seit 1963 mit der EU durch ein Assoziierungsabkommen verbunden,
  5. seit 1996 ist sie Mitglied der Zollunion der EU,
  6. sie stellt eine geographische, sprachliche und politische Brücke zu den turksprachigen Republiken der ehemaligen Sowjetunion dar, einer Region mit den größten Erdöl- und Erdgasreserven der Welt,
  7. sie ist in der Krisenregion »Nahost« ein Faktor politischer Stabilität.

Mit der Aufnahme in die Gruppe der Erweiterungskandidaten hat die EU dieser Westorientierung der Türkei Rechnung getragen und sollte nun daran gehen, diese in die europäischen Institutionen zu integrieren.

Aus diesen Gründen haben wir als »Türkische Gemeinde in Deutschland« die Entscheidung von Helsinki vom Dezember 1999 begrüßt, die die Luxemburger Beschlüsse revidierte und die Türkei in die Liste der Beitrittskandidaten aufnahm.

Mit dieser zukunftsträchtigen Entscheidung haben die EU–Repräsentanten bewiesen, dass die Europäische Union auch ein nichtchristliches Land als zukünftiges Mitglied akzeptiert. Somit wurde all denjenigen eine Absage erteilt, welche die EU als einen Christenclub verstanden wissen wollten.

Für die Türken, insbesondere für die in den EU-Staaten lebenden Türken, ist es völlig unverständlich und inakzeptabel, wenn sich manche politisch verantwortlichen Christdemokraten in Deutschland mit einer solchen Begründung gegen die EU-Mitgliedschaft der Türkei aussprechen.

Diese für die Türkei wichtige Entscheidung von Helsinki hat dem Demokratisierungsprozess in der Türkei einen kräftigen Auftrieb gegeben. Die Türkei ist bemüht, die rasche Umsetzung der »Kopenhagener Standards« umzusetzen.

Diese Standards gehören seit Jahren zu den zentralen Anliegen großer Teile der türkischen Bevölkerung, nämlich mehr Demokratie sowie die Behebung der Defizite in Menschenrechts- und Minderheitenfragen.

Doch auch gutnachbarliche Beziehungen zu Griechenland gehören dazu. Wenn diese Kriterien als aufrichtig gemeinte Forderungen und nicht als Vorwand für ein Hinauszögern der vollen Mitgliedschaft der Türkei gemeint sind, können wir sie aus vollem Herzen begrüßen.

Die Kopenhagener Kriterien verlangen von allen Mitgliedstaaten und somit auch von der Türkei:

  • Gewährung der Grundrechte und -freiheiten wie sie in den Grund- und Menschenrechten der Charta der Vereinten Nationen festgelegt sind,
  • Abschaffung der Todesstrafe,
  • freie Entfaltung und Betätigung nicht staatlicher Organisationen (NGO’s),
  • Abschaffung der Folter,
  • Verbesserung der Lage in den Gefängnissen,
  • kulturelle Rechte für die kurdische Bevölkerung, d.h.:

–    Recht auf Erlernen der Muttersprache

–    Pressefreiheit, auch in kurdischer Sprache

–    Hilfen bei der wirtschaftlichen Entwicklung der Region

–    Beseitigung der regionalen Unterschiede im Lande und

  • die Privatisierung der Wirtschaft

Meiner Beobachtung nach tritt die Mehrheit der türkischen Bevölkerung, insbesondere die Intellektuellen des Landes, bereits seit Langem für diese Forderungen ein.

An dieser Stelle möchte ich an alle im Parlament der Republik Türkei vertretenen Parteien, vor allem aber an die Regierungsparteien, appellieren, diese auch von der großen Mehrheit der türkischen Bevölkerung gewollten Kriterien und Standards möglichst bald in die Tat umzusetzen. Hierbei dürfen nicht parteipolitische Ambitionen, sondern ausschließlich das Verlangen des Volkes und die Gesamtinteressen des Landes Vorrang haben.

Wir appellieren zugleich an die Verantwortlichen in der EU, so schnell wie möglich in Beitrittsverhandlungen auch mit der Türkei einzutreten und der Türkei somit eine verbindliche Perspektive für ihre Vollmitgliedschaft zu geben.

Wer aufrichtig eine rasche, weitreichende und wehrhafte Demokratisierung in der Türkei will, der sollte mit Nachdruck diesen Appell der türkischen Bevölkerung und der Türkischen Gemeinde in Deutschland unterstützen.