M: info@tgd.de    |    T: +49(0)30-896 83 81 0

PM: OVG Urteil zur Sprachanforderung bei Familiennachzug von Ehegatten türkischer Arbeitnehmer*innen

Samstag, der 31. Januar 20152015, Pressemitteilungen, Themen, Türkei und EU

OVG Berlin-Brandenburg bestätigt EuGH-Urteil zur Sprachanforderung bei Familiennachzug von Ehegatten türkischer Arbeitnehmer*innen (Urteil vom 30. Januar 2015 – OVG 7 B 22.14)

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass Ehegatten türkischer Staatsangehöriger, die als Arbeitnehmer*innen in der Bundesrepublik Deutschland leben (sog. assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige) für ein Visum zum Familiennachzug keine deutschen Sprachkenntnisse nachweisen müssen.

Damit hat sich das OVG an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (C-138/13 vom 10. Juli 2014) gehalten. Der EuGH hatte die diesbezügliche Regelung im Aufenthaltsgesetz verworfen, weil eine solche Regelung gegen das Verbot neuer Beschränkungen (der sogenannten „Stillhalteklausel“ im Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei von 1980 -Art. 13 ARB 1/80) verstößt.  Leider hatte anschließend  die Bundesregierung beschlossen, sich nicht an das Urteil des höchsten europäischen Gerichts zu halten und die Sprachanforderung beibehalten.

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Safter Çınar, begrüßte das Urteil: „Das OVG hat der Bundesregierung ins Stammbuch geschrieben, dass sie sich an die EuGH-Urteile zu halten hat.“

Çınar forderte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Staatsministerin Aydan Özoğuz, auf, sich nunmehr effektiv für die Umsetzung des EuGH-Urteils einzusetzen und erinnerte daran, dass Frau Özoğuz seinerzeit das EuGH-Urteil begrüßt und sich sogar für Aufhebung der Sprachanforderung für alle Drittstaatler ausgesprochen hatte (Özoğuz – PM vom 10. Juli 2014).

„Die Sprachanforderung ist keine Integrationspolitische Maßnahme, sondern dient nur der Abschreckung, denn nach der Einreise besteht ohnehin die Pflicht, an Integrationskursen teilzunehmen“, sagte Çınar.

Offensichtlich gelte für die Bundesregierung‚ der sonst so hochgehaltene besondere Schutz von Ehe und Familie (Artikel 6 Grundgesetz) nicht für Ausländer, erklärte Çınar weiter.

„Wir haben am 17.9.2014 durch Rechtsanwalt Ünal Zeran Beschwerde bei Europäische Kommission gegen die Bundesregierung eingelegt und hoffen, dass die EU-Kommission die Bundesregierung darauf hinweisen wird, dass EU-Recht über dem nationalen Recht steht“, sagte Çınar abschließend.

Anlage: Auszüge aus dem URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer) vom 10.6.2014: In der Rechtssache C-138/13 Naime Dogan gegen Bundesrepublik Deutschland

(…) 26  Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die in Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls enthaltene Stillhalteklausel nach ständiger Rechtsprechung  allgemein die Einführung neuer Maßnahmen verbietet, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Niederlassungsfreiheit oder des freien Dienstleistungsverkehrs durch einen türkischen Staatsangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die für ihn galten, als das Zusatzprotokoll in Bezug auf den betreffenden Mitgliedstaat in Kraft trat (Urteil Dereci u. a., C-256/11, EU:C:2011:734, Rn. 88 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27  Es ist auch anerkannt worden, dass diese Bestimmung von dem Zeitpunkt an, zu dem der Rechtsakt, dessen Bestandteil diese Bestimmung ist, im Aufnahmemitgliedstaat in Kraft getreten ist, neuen Beschränkungen der Ausübung der Niederlassungsfreiheit oder der Dienstleistungsfreiheit einschließlich solchen entgegensteht, die die materiell- und/oder verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die erstmalige Aufnahme türkischer Staatsangehöriger im Hoheitsgebiet des fraglichen Mitgliedstaats betreffen, die dort von diesen wirtschaftlichen Freiheiten Gebrauch machen wollen (Urteil Oguz, C-186/10, EU:C:2011:509, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28  Schließlich kann nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Stillhalteklausel, sei es unter Anknüpfung an die Niederlassungsfreiheit oder den freien Dienstleistungsverkehr, nur im Zusammenhang mit der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit die Voraussetzungen für die Einreise türkischer Staatsangehöriger in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und ihren dortigen Aufenthalt betreffen (Urteil Demirkan, C-221/11, EU:C:2013:583, Rn. 55). (…)

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls, das am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichnet und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 über den Abschluss des Zusatzprotokolls und des Finanzprotokolls, die am 23. November 1970 unterzeichnet wurden und dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei als Anhänge beigefügt sind, und über die zu deren Inkrafttreten zu treffenden Maßnahmen im Namen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde, ist dahin auszulegen, dass die darin enthaltene Stillhalteklausel einer Regelung des nationalen Rechts entgegensteht, die eingeführt wurde, nachdem das Zusatzprotokoll in dem betreffenden Mitgliedstaat in Kraft getreten ist, und vorschreibt, dass Ehegatten von in diesem Mitgliedstaat wohnenden türkischen Staatsangehörigen, wenn sie zum Zweck der Familienzusammenführung in das Hoheitsgebiet dieses Staates einreisen wollen, vor der Einreise nachweisen müssen, dass sie einfache Kenntnisse der Amtssprache dieses Mitgliedstaats erworben haben.